Aichwald. Anita Andler sitzt in der Aichwalder Bücherei im Erdgeschoss unter dem Glasdachanbau – dort, wo sonst die Besucher gemütlich in einer der Zeitungen blättern können, die gegenüber in einem Ständer stecken. Vor Andler liegt mit einer Schleife gebunden der Plan für die Bibliotheksstrategie 2020 bis 2025. Hinter ihr an der Wand hängt ein Plakat, das eine Veranstaltung für Kinder ankündigt – eine der wenigen, die sie aus dem Strategieplan bislang umsetzen konnte. Die Diplom-Bibliothekarin, die die Bücherei seit dem Umzug ins Alte Rathaus leitet, fährt seit dem Ausbruch der Coronapandemie auf Sicht. Vor allem der Plan, die knapp 400 Quadratmeter große Bücherei zu einem kulturellen Marktplatz auszubauen, konnte aufgrund des Virus bislang nicht umgesetzt werden. Statt direkter Begegnungen, dem Austausch mit Menschen in entspannter Wohnzimmeratmosphäre und dem Stöbern in den Regalen waren Distanz und Improvisation angesagt. Je nach Infektionsgeschehen ließen Andler und ihre vier Mitarbeiterinnen die Menschen in limitierter Zahl mit Maske in die Bücherei. Zeitweise packten sie ihnen auch Bücherkörbe, empfahlen, was es Interessantes für den jeweiligen Lesenden geben könnte. Gerade in einer Bücherei ihrer Größe kennen sie und ihr Team die Leserinnen und Leser der 7500 Einwohner zählenden Gemeinde persönlich und oftmals kämen diese an begehrte Neuerscheinungen schneller als in Büchereien der umliegenden größeren Städte.

„Corona hat uns einige Leser gekostet“, meint Andler mit Blick auf die Zahlen vor der Pandemie. 847 aktive Leserinnen und Leser waren es im Jahr 2021. Der jüngste sechs, der älteste 91 Jahre alt. In den Jahren davor waren es rund 1000 jährlich gewesen.

1968 war die heutige Bücherei in einem Klassenzimmer der damaligen Grund- und Hauptschule als Schulbücherei gegründet worden. Bald öffnete sie sich für alle Bürgerinnen und Bürger Aichwalds. Unter den drei Hauptzielgruppen sind bis heute Kinder bis zehn Jahre, erklärt Andler mit Verweis auf ihre Analyse. Außerdem kämen gerne junge Familien und Alleinerziehende mit Kindern sowie die Altersgruppe 50 Plus ins Alte Rathaus, um sich etwas auszusuchen. Besonders beliebt bei den Kleinen sind die Tonies. Andler zeigt eines davon und stellt eine Figur auf eine rote quadratische Box, einer Schatzkiste für Hörerlebnisse.

Die Erwachsenen lesen dagegen häufig regionale Krimireihen und fragen nach Büchern der Spiegel-Bestsellerliste, sagt Ulrike Oldekop-Körner, die stellvertretende Leiterin. Sie ist seit 1999 im Team und hat miterlebt, wie die Bücherei in den 90er-Jahren an ihre Grenzen stieß. Nach dem Neubau des Rathauses in Schanbach stand das alte Rathausgebäude leer und konnte zur Bücherei umgebaut werden. Mit knapp 9000 Medien starteten sie dort – heute sind es gut 16 500. Bereits vor der Eröffnung am 22. Juni 2002 meldeten sich 500 Leseinteressierte neu an – 2019 waren es noch 160. Zunächst ging es mehr als zehn Jahre stetig bergauf. 2013 erreichte die Bücherei mit mehr als 1000 aktiven Lesenden und 85 000 Entleihungen ihren Höhepunkt. Doch seitdem begannen die Ausleihzahlen langsam zurückzugehen.

Andler macht dafür das veränderte Freizeit- und Mediennutzungsverhalten der Bevölkerung verantwortlich, die Digitalisierung der Gesellschaft und den demografischen Wandel. Es seien Herausforderungen, denen sich alle Büchereien stellen müssten. Gleichzeitig bestehe als Gegenreaktion zur Digitalisierung und Vereinzelung in der Gesellschaft das Bedürfnis nach einem Ort der Begegnung in entspannten Rahmen, wo sich Menschen jeden Alters ungezwungen treffen können. „Darauf muss die Bücherei reagieren“, ist Andler überzeugt.

Sie hat eine Menge Ideen in ihren Strategieplan geschrieben, darunter das Lese-Café, regelmäßige Veranstaltungsreihen für Kinder und die Generation 50 Plus. Außerdem soll das Personal Zeit haben für Lese- und Sprachförderung, für die Vermittlung von Medien- und Informationskompetenz und für die Kulturarbeit. Bestehendes soll weitergeführt werden, wie Autorenlesungen, der musikalisch-literarische Abend, Vorlesetreffs für Kinder ab vier Jahre und der monatliche Handarbeitstreff. Hinzukommen sollten Spielnachmittage für Familien, ein Lesekreis für Berufstätige am Abend, Vorleseaktionen für Senioren auch außerhalb der Bücherei. Fast alles musste bislang aufgeschoben werden.

Doch es konnte trotz Corona auch etwas umgesetzt werden. Das bestehende Personal wurde um eine halbe Stelle aufgestockt und das gewünschte Selbstverbuchungssystem eingeführt. Außerdem können nun Bücher unabhängig der Öffnungszeiten in einer Box am Eingang der Bücherei zurückgegeben werden. Andler und ihr Team wünschen sich aber nichts sehnlicher, als dass die Menschen wieder in der Bücherei stundenlang stöbern und sich begegnen können.